Mittwoch, 23. Januar 2013

Kapitel 6


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„Na, bist du wieder am träumen?“ fragte da eine spöttische Stimme.
Eliza sah hoch und vor ihr im hellen Sonnenlicht stand Lennon. Wie damals war er dunkel gekleidet und trug eine Kapuze. Diese schlug er jetzt nach hinten, grinste und ließ sich vor Eliza auf den Boden sinken. Er hatte sich verändert, war älter geworden. Eliza schätze, dass er ein paar Jahre älter war als sie.

„Ich träume nicht, ich denke nach“, Eliza reagierte gereizt auf Lennon und wusste nicht einmal wieso. Insgeheim hatte sie sich doch gewünscht, dass er erscheinen möge.

„Wieso musst du da noch nachdenken? Ist doch klar, was du machen wirst. Du gehst natürlich zu den Robins“. Für Lennon schien der Fall ganz klar zu sein.

„Da weißt du aber mehr als ich“, sagte Eliza

„Natürlich weiß ich mehr“, lachte Lennon. „Ich weiß alles. Obwohl, es gibt natürlich noch eine andere Möglichkeit: du kommst mit mir“.

„Nicht schon wieder! Ich hab dir schon mal gesagt, ich komme nicht mit dir. Wer bist du überhaupt? Du bist doch bloß ein Traum“.

„Ja, dein Traum, da hast du Recht“. Lennon seufzte und stand auf. Er legte die Hand an den Stein hinter sich und ließ den Kopf sinken. So ging es einfach nicht. Eliza würde niemals einfach so mit ihm gehen. Er musste einen anderen Weg finden.

„Eliza, komm mal her zu mir“, bat er das Mädchen. Als sie zu ihm trat, nahm er ihre Hand und legte sie ebenfalls auf den Stein.

„Sag mir, was du fühlst“, flüsterte er.

Eliza war bei Lennons Berührung zusammengezuckt. Wie konnte sich ein Traum so real anfühlen? Ihre Hand berührte den kalten Stein unter sich und plötzlich spürte sie Wärme. Es war, als würde der Stein leben, er pulsierte. Erschrocken wollte sie ihre Hand wegziehen, aber Lennon hielt sie fest.

„Nein, hab keine Angst. Vertrau mir einfach. Was fühlst du?“

„Ich fühle Wärme“, sagte Eliza zögernd.

„Gut, und was noch?“ ernst blickte Lennon auf das Mädchen neben sich.

„Nur Wärme“. Eliza schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, was Lennon noch von ihr wollte.

„Liebe? Fühlst du vielleicht Liebe?“ fragte er da eindringlich.

„Blödsinn, Liebe kann man nicht fühlen“, Eliza zog mit einem Ruck ihre Hand weg.

„Natürlich kann man das! Eliza, Liebe kannst du überall spüren! Du musst es nur wollen. Schau dich doch um! Überall hier um dich herum ist Liebe. Lass es doch endlich zu!“ Lennon packte Eliza an den Schultern und drehte sie zu sich herum. Aber sie schaute ihn nur mit verständnislosen Augen groß an. Lennon verstand die Welt nicht mehr. Wusste Eliza etwa immer noch, was Liebe war? Konnte sie wirklich nicht sehen, wie sehr er sie liebte? Dann dachte er nach. Nein, sie wusste es nicht. Wie auch? Eliza war noch nie verliebt gewesen, sie hatte noch nie gespürt, wie es ist, wenn die Gedanken immer nur um den einen, einzigen Menschen kreisten. Sie wusste nicht, wie es war, einmal glücklich und im nächsten Augenblick zu Tode betrübt zu sein. Sie hatte keine Ahnung, was die Liebe mit einem Menschen machen konnte. Er verlangte einfach zu viel von ihr.

Zärtlich strich Lennon Eliza über die Wange und ließ sie dann los.

„Es ist mal wieder Zeit für eine Geschichte, denke ich“, sagte er dann. „Hör zu und lerne“.

Und Lennon begann zu erzählen:

Dies ist die Geschichte von Ailis, dem Elfenmädchen, das die Liebe suchte.

Ailis gehört zu dem Stamme der Sidhe. Das sind die Elfen, die das irische Land bevölkern. In den alten Zeiten hat man sie öfter mal gesehen, mittlerweile trifft man sie immer seltener an, was aber nicht daran liegt, dass es keine Elfen mehr gibt, sondern daran, dass sie mit dem Menschenvolk keinen Kontakt möchten. Die meisten Menschen sehen die Elfen als schön und wundersam an. Das stimmt sicherlich auch, aber die Elfen haben zu den Menschen ein eher gestörtes Verhältnis. Sie halten die Menschen für eigenartig, unberechenbar und schwach. Die Menschen haben für die Elfen ein viel zu einnehmendes Wesen. Menschen nehmen alles gefangen, nicht nur sich selbst, sondern auch materielle Dinge, Gedanken, die Natur, die Buchstaben in den Wörtern, die Kunst, eben einfach alles. Dabei haben die Menschen den Blick für das Wesentliche längst verloren.

Elfen sind da ganz anders. Sie verehren alles, was schön ist: die Natur und den Gesang der Vögel, das Meer und den Wind. Niemals würden sie einem anderen Lebewesen bewusst Schaden zufügen. Und noch einen großen Unterschied zwischen den Elfen und den Menschen gibt es: die Elfen haben ein kaltes Herz; sie können keine Gefühle zeigen. Wenn du einem Elfen in die Augen siehst, wirst du da zwar die Weisheit der ganzen Welt erkennen, aber keinen Funken echten Mitgefühls oder gar Liebe. Die Elfen können nicht lieben.

Ailis war nun nicht gerade das typische Elfenmädchen. Sie war von klein auf fasziniert von den Menschen. Wo immer sie konnte, schaute sie ihnen zu und belauschte sie. Oft verstand sie nicht, was die Menschen sagten oder taten. Sie waren ihr in vielen Dingen völlig fremd. Aber Ailis spürte auch genau, dass sich hinter dem oft unberechenbaren Verhalten der Menschen etwas sehr Geheimnisvolles verbergen musste.

Ihr Mutter schimpfte oft mit ihr, wenn sie sie wieder einmal dabei erwischte, wie sie den Menschen hinterher spionierte, aber eine unwiderstehliche Kraft zog Ailis immer wieder zurück. Besonders angetan hatte es ihr ein junger Ritter, der auf dem Schloss Muckross lebte. Oft schaute Ailis ihm beim Üben mit den anderen Rittern auf dem Feld zu oder folgte ihm unbemerkt in das Schloss. Denn noch ein großes Geheimnis hatten die Elfen: sie konnten sich unsichtbar für die Menschen machen. So gelang es Ailis, Sean, den jungen Ritter, bei vielen Gelegenheiten zu beobachten und zu begleiten. Manchmal ritt sie sogar mit ihm auf seinem Hengst aus, ohne dass Sean etwas davon bemerkte.

Besonders aufmerksam schaute Ailis zu, wenn Sean sich mit den Frauen aus der Burg unterhielt. Und was sie gar nicht verstehen konnte, war, dass Sean manchmal seine Lippen auf die einer Frau drückte und dass es den beiden sogar noch zu gefallen schien. So etwas war in der Welt der Elfen undenkbar. Niemals würde ein Elf einem anderen so nahe treten, schon die kleinsten Berührungen lösten Schauder bei ihnen aus. Deshalb konnte sich Ailis auch gar nicht vorstellen, wie sich dieses Lippenberühren anfühlen sollte.

Und die Gespräche, die Ailis belauschte, gaben ihr immer wieder Rätsel auf: es ging häufig um etwas, was sich Liebe nannte. Liebe, dachte Ailis, was ist das denn bloß? Sie fragte ihre gesamte Familie und keiner konnte es ihr erklären. Es musste etwas völlig Unwichtiges sein, sagte man ihr immer wieder. Die Elfen kommen auch gut ohne Liebe zurecht also wozu sich darüber Gedanken machen?

Ailis aber gab nicht auf. Sie wollte wissen, was es mit der Liebe auf sich hatte. So viele Lieder besangen die Liebe und so viele Bücher wurden darüber geschrieben. Ailis konnte zwar die Menschensprache nicht lesen, aber sie lauschte oft, wenn eine Frau auf dem Schloss den anderen aus den Büchern vorlas. Immer wieder, wenn sie das Wort Liebe erwähnte, verdrehte sie ganz verzückt die Augen und Ailis wollte nun unbedingt hinter das Geheimnis kommen.

Eines Tages saß sie mal wieder auf dem Zaun und schaute Sean beim Üben zu. Ihr gefiel alles an ihm. Seine Haare glänzten schwarz in der Sonne, sein Lächeln schien nur ihr zu gelten (obwohl er sie gar nicht sehen konnte, wie Ailis ganz genau wusste)  und seine Augen strahlten. Aber irgendwas schien heute mit Sean nicht zu stimmen. Er war unkonzentriert und machte viele Fehler. Als ein anderer Ritter ihn darauf ansprach, sagte Sean nur: „Ich bin verliebt!“ Ailis spitzte die Ohren (die sind bei Elfen besonders spitz, mit kleinen weichen Puscheln oben drauf). Sollte sie jetzt endlich das Geheimnis der Liebe gefunden haben? War es etwas, was die Menschen verwundbar und schwach machte? Ja, so musste es sein, wenn sie sich Sean ansah. Aber warum dann sein strahlendes Lächeln? Es konnte ihn doch nicht wirklich freuen, wenn er Fehler machte? Ailis verstand das alles nicht.

Sean erzählte dem anderen Ritter von einer Frau, die er getroffen hatte und in die er sich verliebt hatte. Der andere aber lachte ihn nur aus. Sean könne das doch unmöglich ernst mit der Frau meinen. Wusste er etwa nicht, was das für eine war? Die verführte doch aus Spaß jeden Mann, den sie haben konnte. Nein, diese Frau war Seans Liebe gar nicht wert! Sean solle erst mal wieder aufwachen und klar im Kopf werden. So dumm könne er doch gar nicht sein, dass er nicht erkenne, dass die Frau nur mit ihm spiele. Der Ritter lachte sehr über den verdutzten Sean.

So, dachte Ailis sich, Liebe macht die Menschen also schwach und lässt sie Dinge tun, die sie eigentlich bei klarem Verstand gar nicht tun würden? So ein komisches Ding die Liebe. Und obwohl Elfen ja keine Gefühle haben, empfand Ailis auf einmal tiefes Mitgefühl für Sean. Sie verspürte einen stechenden Schmerz in der Brust. Gern wollte sie  Sean trösten und sie wollte ihn so gern berühren. Ailis erschrak sehr über sich selbst und lief so schnell sie konnte nach Hause. Es war ihr unbegreiflich, was da mit ihr passierte und sie suchte verzweifelt nach einer Antwort. Aber keiner aus ihrer Familie konnte ihr helfen. Alle sahen sie nur mit kalten blauen Augen an und verstanden nicht, wovon Ailis eigentlich sprach.

Sie setzte sich ins Gras und überlegt, wen sie denn noch fragen konnte. Da sah sie eine alte Frau, die Kräuter sammelte. Sie kam auf Ailis zu und lächelte sie an. Nun wusste Ailis, dass die Frau kein Mensch sein konnte, da sie sie ja sehen konnte. Aber eine Elfe war das auch nicht.

„Wer bist du?“ fragte Ailis die alte Frau. Diese lachte nur und erzählte ihr, dass sie eine Zauberin sei und schon viele hundert Jahre auf der Erde lebe. Oh, dachte sich Ailis, die ist genau richtig. Wenn die nicht weiß, was Liebe ist, dann weiß es keiner. Und so erzählte ihr Ailis von Sean und von ihrer Suche nach der Liebe und von den seltsamen Gefühlen, die sie jetzt spürte.

„So, so“, sagte die alte Frau „Du willst also wissen, was die Liebe ist? Bist du dir da auch ganz sicher? Weißt du denn nicht, dass Liebe für Elfen etwas sehr Gefährliches sein kann? Die Elfen verlieren doch ihre Unsterblichkeit, wenn sie einmal lieben sollten. Willst du das wirklich?“ Ailis überlegt lange und nickte dann. Alles, was sie bisher von der Liebe gehört und gesehen hatte, hatte ihr so sehr gefallen und sie war bereit, dafür sogar ihre Unsterblichkeit zu verlieren.

„Na gut, dann soll es so sein. Geh zu deinem Sean und du wirst die Liebe finden. Lauf schnell, denn Sean braucht dich jetzt gerade!“ Während die alte Frau noch sprach, verschwand sie nach und nach vor Ailis Augen. Sean war in Gefahr? So schnell sie konnte lief Ailis wieder zu dem Schloss. Und hier musste sie zu ihrem großen Schreck mit ansehen, wie ein gewaltiger Kampf vor den Toren des Schlosses tobte. Ailis konnte wie alle Elfen nicht verstehen, wie die Menschen sich bloß so bekämpfen konnten. Und die Menschen sind noch nicht mal unsterblich wie die Elfen, dachte sie. Was hatte es denn für einen Sinn zu kämpfen, wenn man hinterher tot ist? Aber all das war Ailis im Augenblick auch egal. Sie suchte Sean.

Da! Endlich sah sie ihn! Er kämpfte mit einem anderen Ritter und es sah gar nicht gut für ihn aus. Immer wieder trafen ihn die Hiebe des Gegners und Sean verlor immer mehr an Kraft. Und dann war es soweit: der Ritter schlug ein letztes Mal zu und Sean fiel um wie ein Baum. Obwohl es den Elfen unter Strafe verboten war, in die Kämpfe der Menschen einzugreifen,  konnte Ailis nicht anders: sie legte einen Bindezauber über den fremden Ritter. Der erstarrte mit hoch erhobenem Schwert und Ailis eilte an Seans Seite. Traurig betrachtete sie den jungen Ritter, der aus vielen Wunden blutete. Wenn sie doch bloß helfen könnte, dachte Ailis, aber sie konnte Tote nicht wieder zum Leben erwecken.

Wieder verspürte Ailis einen stechenden Schmerz in der Brust. Diesmal noch stärker, als beim ersten Mal. Vor ihren Augen verschwamm plötzlich alles und sie konnte nur noch unklar sehen.  Ailis wusste, was das war. Sie hatte schon bei den Menschen Tränen gesehen, aber die waren ihr genauso fremd wie die Liebe. Warum hatte sie auf einmal Tränen in den Augen? Und nun liefen diese Tränen auch noch über ihr Gesicht und tropften auf Sean. Sie benetzten seine Augen und seine Lippen und einige liefen sogar bis in seine Ohren.

Plötzlich schlug Sean die Augen auf und er glaubte, im Himmel zu sein. Über ihn beugte sich eine wunderschöne Gestalt, die nur ein Engel sein konnte. Ohne auch nur zu wissen, wer das war, sagte Sean: „Ich liebe dich.“. Durch Ailis Herz schoss ein Blitz, alles flimmerte vor ihren Augen, die Welt drehte sich um sie herum und ihre Beine fühlten sich wie Pudding an. Das war Liebe? So ein starkes und wunderbares Gefühl sollte das sein? Die kleine Elfe konnte es nicht fassen. Sie hatte doch tatsächlich die Liebe gefunden! Hier auf dem Schlachtfeld blickte sie in die Augen des jungen Ritters und sah dort alles, was sie sich jemals erträumt hatte. Ihr Herz war auf einmal nicht mehr kalt. Sie konnte fühlen und lieben und weinen und lachen. Und ihre Augen strahlten mit der Sonne um die Wette.

Was Ailis erst viel später erfahren sollte, war, dass sie mit ihren Tränen Sean wieder ins Leben zurückgeholt hatte. Denn die Tränen einer Elfe sind so selten, dass sie alles Leid der Welt heilen können. Alles, was sie wollte, fand sie in dem liebevollen Blick Seans. Die alte Frau hatte Recht gehabt, sie hatte ihre Unsterblichkeit verloren, aber sie hatte dafür die Liebe gefunden und welche Elfe konnte das schon von sich behaupten?     ...Fortsetzung folgt

1 Kommentar:

Bibilotta hat gesagt…

*schnief*...was für eine süße Elfengeschichte...in der Geschichte...*seufz*..einfach nur zu schöööööön