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Ein alter griesgrämiger König lebte allein mit seiner wunderschönen Tochter
in einem Schloss mitten im Teutoburger Wald. Der König hatte schon sehr früh
seine Frau verloren, die er sehr geliebt und geschätzt hatte. Seit diesem Tag
wurde er immer trauriger und unwirscher. Nur seine Tochter konnte ihn manchmal
aus seinem Tal der Tränen herauslocken und war er mit ihr zusammen konnte man
ihn sogar manchmal lachen hören. Leider war Marie, die Königstochter, nicht nur
sehr hübsch sondern auch sehr aufgeweckt und neugierig auf ihre Umwelt. Zu gern
wollte sie sehen, was hinter den Mauern des Schlosses so vor sich ging und zu
gern hätte sie andere junge Menschen kennen gelernt. Ihr Vater aber ließ sie
nicht aus dem Schloss Er hatte Angst um Marie, da seine Frau bei einem Ausflug
ins Dorf mit der Kutsche einen Unfall gehabt hatte und gestorben war. Der König
wollte Marie vor allem Unglück beschützen und bewahren. Ganz selten einmal nahm
er seine Tochter mit auf eine Rundfahrt zu seinen weit entlegenen Gütern und
dann war auch immer seine schwer bewaffnete Leibgarde dabei.
Marie wurde immer ungeduldiger und malte sich die Welt außerhalb der
Schlossmauern in wunderschönen Farben aus. Sie erfand Geschichten, in denen von
Elfen und Waldgeistern die Rede war und manchmal tauchte auch ein junger Prinz
darin auf. Immer wieder stieg Marie auf die Mauern, die das Schloss umgaben und
schaute in die Welt hinaus. Eines Tages fasste sie einen Entschluss: Sie würde
weglaufen und endlich die Abenteuer erleben, von denen sie nur träumte. Sie
packte ein paar Sachen in ein Bündel und schlich sich eines Nachts heimlich aus
dem Schloss. Niemand bemerkte sie. Da es eine sehr ruhige Zeit war und der
König mit niemanden im Streit lag, waren auch die Schlosswachen nicht sehr
aufmerksam, so dass Marie unbemerkt entkommen konnte.
Nun stand sie außen vor den Schlossmauern und war sehr stolz auf sich.
Wohin sollte sie nun gehen? In den Wald oder in Richtung Dorf? Sie entschied
sich für den Wald und lief los. Leider hatte sie gar nicht damit gerechnet, wie
groß der Wald war und wie dunkel es darin sein konnte. Sie hatte kein Licht
mitgenommen und schon bald hatte sie sich rettungslos verlaufen. Schluchzend
drehte sie sich im Kreis und ließ sich dann erschöpft auf die Erde sinken. Was
sollte sie denn jetzt bloß tun? Sie wollte so gern wieder nach Hause zurück.
Die Welt hier draußen gefiel ihr immer weniger und sie sehnte sich nach dem
Schutz und dem Licht des Schlosses. Aber den Weg zurück fand sie nicht mehr.
Kurz bevor ihr die Augen zufielen, hörte sie auf einmal einen leisen
Hilferuf. Sie stand schnell auf und versuchte die Stimme zu orten. Da war es
wieder, eindeutig ein „Hilfe, Hilfe“. Marie lief los, immer der Stimme
entgegen. Sie kam auf eine Lichtung und stoppte plötzlich. Da sah sie was um Hilfe
gerufen hatte: Ein undefinierbares Etwas, halb Bär halb Wolf, mit riesigen
Zähnen und roten funkelnden Augen, starrte sie an. Es war in einer Falle
gefangen und konnte sein Bein nicht befreien. Marie bekam große Angst. Sie sah,
das Ding brauchte Hilfe, aber sie traute sich nicht weiter heran, zu groß war
ihr Respekt vor den Zähnen und Klauen des Tieres.
„Bitte hilf mir doch!“ sprach das Tier wieder auf Marie ein „Du brauchst
keine Angst vor mir zu haben, ich verspreche dir, ich tu dir nichts. Bitte lauf
nicht wieder weg. Ich sitze jetzt schon zwei Tage in dieser Falle fest und
alle, die ich bisher um Hilfe rief, liefen wieder weg, weil sie meinen Anblick
nicht ertragen konnten. Bitte tu du mir das nicht auch noch an! Ich habe
niemanden etwas getan und kann nichts dafür, wie ich aussehe. Bitte, du musst
mir vertrauen!“
Marie war immer noch starr vor Angst, aber die Stimme des Tieres klang
wunderschön, sanft und ruhig wie ein langsamer Regen, der auf die Felder fällt.
Sie überlegte, was sie tun konnte. Zurück zum Schloss konnte sie nicht, sie
würde den Weg nicht finden. Hilfe im Wald holen kam auch nicht in Frage, dazu
kannte sie sich nicht genug aus. Sie war auf sich allein gestellt.
„Versprichst du mir, dass du mir wirklich nichts antust? Du wirst mich nicht
anfallen und verletzen, sondern dir von mir helfen lassen?“ frage sie
misstrauisch das Tier. „Natürlich, ich hab`s dir doch versprochen. Bitte hilf
mir doch. Ich habe Schmerzen und kann mein Bein nicht mehr spüren." Das
Tier klang immer verzweifelter. Wahrscheinlich hatte es Angst, Marie würde wie
die anderen weglaufen und es wäre dann doch wieder allein.
Vorsichtig ging Marie auf das Tier zu. Umso näher sie kam, umso größer
wurde auch ihre Angst. Tapfer schaute sie dem Tier in die Augen. „Hast du einen
Namen? Wie soll ich dich anreden?“ fragte sie.„Nenn mich Dark“, sagte das Tier,
„so nennen mich alle anderen auch. Früher hatte ich mal einen anderen Namen,
aber den hab ich schon lange vergessen“.
„Na gut, Dark, ich komm jetzt zu dir und versuche die Falle aufzubekommen.
Bitte leg dich hin und verhalte dich ganz ruhig. Bei der kleinsten Bewegung von
dir, lauf ich sofort weg und lass dich allein.“ Marie ging in die Hocke und
streckte eine Hand nach der Falle aus. Dark legte sich, wie von ihr verlangt, hin,
machte die Augen zu und verhielt sich völlig ruhig. Als Marie sah, wie Dark
sich bemühte, ganz ruhig zu sein, bekam sie immer mehr Vertrauen zu dem Tier
und versuchte nun mit beiden Händen die Falle auseinander zu drücken. Dies
gelang ihr nicht sofort. Sie nahm einen Ast zu Hilfe und dann klappte es auch.
Dark konnte sein Bein aus der Falle ziehen und Marie war völlig erschöpft von
der schweren Arbeit. Sie schaute Dark an. Jetzt war das Tier also frei und
konnte gehen, wenn es wollte. Es konnte sie auch anfallen, jetzt, wo es wieder
frei war. Ihr war es egal. Sie war todmüde und wollte nur noch schlafen. Sollte
Dark doch machen, was er wollte, sie würde alles hinnehmen. Sie legte sich auf
die Erde und endlich fielen ihr auch die Augen zu.
Am nächsten Morgen wachte Marie vom Gezwitscher der Vögel auf. Staunend sah
sie sich um. Der Wald war völlig verwandelt. Überall grünte und blühte es.
Vögel sangen und die Sonne strahlte durch das dichte Blätterwerk. So gut hatte
sie schon lange nicht mehr geschlafen und sie stellte fest, dass ihr Kopf auf
einem Fellkissen lag. Als sie sich vorsichtig umdrehte, merkte sie aber, dass
es kein Fellkissen war, sondern Dark, der ruhig an ihrer Seite lag und schlief.
Marie hatte sich in der Nacht vertrauensvoll an ihn gekuschelt und geschlafen
wie ein Baby.
Marie starrte auf Dark hinunter. Obwohl das Tier jetzt im Sonnenlicht noch
bedrohlicher wirkte, verspürte sie keinerlei Angst. Trotzdem wollte sie aber
lieber zurück ins Schloss und stand langsam auf. Jetzt wachte auch Dark auf und
verzog seine hässliche Schnauze. Das sollte wohl ein Lächeln sein, aber es sah
einfach zum Fürchten aus. „Guten Morgen Mädchen. Ich hab dir noch gar nicht für
deine Hilfe gedankt.“ Dark lächelte immer noch.
„Möchtest du mir deinen Namen verraten? Wo kommst du her?“
„Meinen Namen werde ich dir nicht sagen und auch nicht wo ich herkomme. Um
jemanden so etwas zu sagen, muss man schon großes Vertrauen haben. Und das habe
ich dir gegenüber immer noch nicht ganz. Gib mir einen Beweis, dass ich dir
vertrauen kann. Irgendwas, was mich an dich glauben macht.“ Marie wollte
unbedingt dieses Tier besser verstehen, aber sie hatte immer noch ein wenig
Angst in sich.
„Na gut, wenn du einen Beweis möchtest, dann werde ich dir den geben. Wenn
Vertrauen dazu gehört, damit du mir deinen Namen sagst, dann möchte ich mir
gern dein Vertrauen verdienen. Schau mir tief in die Augen und sag mir dann,
was du da siehst.“ Dark setzte sich aufrecht vor Marie hin und diese schaute
ihm auch wirklich in die rot glühenden Augen. Plötzlich aber wandelten die
Augen vor ihr die Farbe. Sie wurden erst fast schwarz, dann blau und immer
heller. Und in diesen Augen sah Marie einen jungen Mann, der sie anlächelte und
ihr die Hände entgegenstreckte. Marie verlor sich in den Augen und wollte zu
diesem jungen Mann. Es war ihr, als würde sie ihn schon ihr Leben lang kennen
und sie fühlte sich, als ob sie einen lang verloren geglaubten Freund wieder
gefunden hätte. Auch sie streckte die Arme aus und vergrub ihre Hände in Darks
dichtem Fell.
Dark schloß die Augen und Marie spürte auf einmal das Fell nicht mehr,
sondern sie berührte warme weiche Haut. Und sie hielt auch nicht mehr Dark im
Arm sondern den jungen Mann, den sie in Darks Augen gesehen hatte.
„Ich bin Marie und komme aus dem Schloss“, konnte sie endlich
hervorbringen. Diesem jungen Mann konnte sie alles sagen, er würde alles
verstehen, das spürte sie ganz genau.
„Danke Marie für dein Vertrauen. Mein Name ist Joe. Dark haben mich alle
anderen genannt, weil sie nur die Dunkelheit in mir sahen, aber nie mein
wirkliches Ich. Erst du hast mich befreit und wieder zu dem gemacht, der ich
bin und den ich schon verloren glaubte. Du hast dem Tier vertraut und damit
auch mir. In allen von uns lebt auch eine dunkle Seite, die manchmal herauskommt
und andere verschreckt. Erst Menschen wie du, die auch hinter der Dunkelheit
das Helle sehen, erkennen, dass nicht jeder Mensch nur gut oder nur böse ist.
Jeder hat dunkle Seiten in sich. Und Menschen, die es verstehen, diese
Dunkelheit zu akzeptieren, können zu wirklichen Freunden oder noch zu viel mehr
werden. Du Marie, hast mir in die Augen gesehen und darin die Liebe zu dir
erkannt. Eine Liebe, die tiefer geht, als du dir vorstellen kannst. Lass uns zu
deinem Vater zurückgehen. Ich möchte ihn fragen, ob er mir deine Hand und dein
Leben anvertraut. Natürlich nur, wenn du mich auch willst“.Joe hielt Marie an
beiden Händen und schaute sie mit seinen wunderschönen blauen Augen an. Was
blieb Marie da anders über, als JA zu sagen!
Und was lernen wir
daraus? Um einem anderen Menschen Freundschaft und Liebe entgegen bringen zu
können, muss man ihn erst einmal vertrauen. Man muss lernen, ihn so zu
akzeptieren, wie er nun einmal ist, mit seinen Fehlern und Schwächen. Hinter
all dem muss man immer noch den wahren Menschen erkennen, der sich nur allzu
gern hinter dicken Mauern aus Schweigen versteckt. Erst wenn es gelingt, diese
Mauern einzureißen, kann etwas Wunderschönes erblühen. Aber nicht alle Menschen
sind so mutig wie Marie und nicht alle haben so ein grenzenloses Vertrauen.
Manchmal hat man einfach nur Angst, verletzt zu werden oder man verliert den
Mut, weil die Mauer des anderen einfach unüberwindlich erscheint. Wie ist es
mit dir? Kannst du die Mauer überwinden?
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